Auskunftsanspruch in der Heilbehandlung
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Das Recht der Patienten auf Einsicht und Auskunft in die sie betreffenden Krankenunterlagen einschließlich der hierzu geführten elektronischen Behandlungsdokumentation ist das wichtigste Betroffenenrecht und mittlerweile in seinem grundsätzlichen Bestand unumstritten. Den Patienten steht danach ein einklagbarer Rechtsanspruch auf Einsicht in und Auskunft aus sämtlichen sie betreffenden Krankenakten zu, ohne dass dies vor der Behandlung vereinbart werden muss. Der Rechtsanspruch gilt auch nach Abschluss der Behandlung. Die Patienten können zugleich die Anfertigung von Kopien verlangen. Verankert ist das Einsichts- und Auskunftsrecht an mehreren Stellen: einerseits im Berufsrecht (§ 10 Abs. 2 BO-Ä und § 11 BO-PT), darüber hinaus im Vertragsrecht (§ 630g BGB) und im allgemeinen Datenschutzrecht (Art. 15 DS-GVO).
Nach Wirksamwerden der Datenschutz-Grundverordnung im Mai 2018 wurde verstärkt die Frage aufgeworfen, ob sich der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch nach Art. 15 DS-GVO im Rahmen der Heilbehandlung auch auf die Bereitstellung einer vollständigen Kopie der Behandlungsdokumentation erstreckt. Die Angelegenheit hat für die Praxen hinsichtlich der dabei anfallenden Kosten eine praktische Relevanz: denn anders als nach § 630g Abs. 2 Satz BGB und den jeweiligen Berufsordnungen vorgesehen wäre eine auf Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO gestützte Kopie zumindest in der ersten Ausfertigung für die Betroffenen unentgeltlich. Im Ergebnis ist dies nach Ansicht des LfDI Rheinland-Pfalz aufgrund der besonderen Umstände im Bereich der Heilbehandlung der Fall. Unerheblich ist, ob sich die Patienten dabei ausdrücklich auf ihr Auskunftsrecht nach Art. 15 DS-GVO berufen oder nicht.
Ein Urteil des Landgerichts Dresden bestätigt die vom LfDI vertretene Auffassung zum Anspruch auf unentgeltliche Bereitstellung der ersten Kopie der Behandlungsdokumentation.
Grundsätzliches zum Auskunftsanspruch nach Art. 15 DS-GVO
Art. 15 Abs. 1 EU Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) gewährt den von einer Datenverarbeitung betroffenen Personen einen allgemeinen Rechtsanspruch auf Mitteilung, ob und ggf. welche personenbezogene Daten verarbeitet werden. Der Anspruch, dessen Umfang sich aus Art. 15 Abs. 1 lit. a – lit. h DS-GVO ergibt, richtet sich gegen den für die Datenverarbeitung Verantwortlichen. Der Anspruch umfasst nach dem Wortlaut des Art. 15 Abs. 3 DS-GVO auch die Bereitstellung einer Kopie der personenbezogenen Daten. Nach der überwiegenden Auffassung der Datenschutzaufsichtsbehörden in Deutschland, der sich auch der LfDI RP anschließt, ist der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DS-GVO dennoch allgemein auf die Erteilung einer Auskunft über das Ausmaß der Verarbeitung personenbezogener Daten beschränkt. Denn der Begriff „Kopie“ ist vor diesem Hintergrund nicht wortwörtlich zu verstehen, sondern meint vielmehr eine Auflistung der über den Betroffenen vorhandenen personenbezogenen Daten und einen Hinweis auf die mit der Datenverarbeitung in Zusammenhang stehenden Rechte des Betroffenen im Sinne des Art. 15 Abs. 1 lit. a) – h) DS-GVO. Einzelfallbezogen kann in einem zweiten Schritt je nach dem konkreten Anliegen des Betroffenen zur Auskunftserteilung auch die Abschrift einzelner Dokumente erforderlich sein.
Umfang des Auskunftsanspruchs im Bereich der Heilbehandlung geht weiter
Im Bereich der Heilbehandlung durch Ärzte oder andere Gesundheitsberufe ist die Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DS-GVO dagegen weiter und erstreckt sich vorbehaltlich vorrangiger gesetzlicher Schranken, insbesondere aus dem BDSG oder dem LDSG Rheinland-Pfalz, regelmäßig auf die Bereitstellung einer vollständigen Kopie der Behandlungsdokumentation, sofern der Patient dies verlangt. Dabei ist es unerheblich, ob die Behandlung ambulant oder stationär erfolgt.
Grund hierfür ist die Tatsache, dass es sich bei den in einer Patientenakte enthaltenen Daten fast ausschließlich um Gesundheitsinformationen und damit um personenbezogene Daten besonderer Kategorien im Sinne des Art. 9 Abs. 1 DS-GVO handelt. Diese sind nach Art. 15 Abs. 1 lit. b DS-GVO immer im Rahmen der Auskunftserteilung zu benennen. Nach Erwägungsgrund 63 zur DS-GVO umfasst das Recht der betroffenen Person auf Auskunft über ihre eigenen gesundheitsbezogenen Daten auch Informationen zu Daten in ihren Patientenakten, die Informationen wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen enthalten. Nach Auffassung des Verordnungsgebers sollte zumindest die Möglichkeit eines direkten Zugangs zu den Daten geschaffen werden.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben und der zivil- und berufsrechtlich verankerten Rechte der Patienten auf umfassenden Zugang zu den sie betreffenden Behandlungsdokumentationen einschließlich der Bereitstellung einer Kopie muss auch das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht im Hinblick auf seine Reichweite im Bereich der Heilbehandlung entsprechend ausgelegt werden. Gemäß Art. 15 Abs. 3 Sätze 1 und 2 DS-GVO ist daher eine kostenfreie erste Kopie den betroffenen Patienten bereitzustellen, wenn dies dem Auskunftsbegehren des Patienten entspricht.
Einschränkungen des Auskunftsanspruchs
Einschränkungen des aus dem Auskunftsanspruch resultierenden Einsichtsrechts ergeben sich nach der gegenwärtigen Rechtslage lediglich dann, wenn entweder erhebliche Persönlichkeitsrechte Dritter dagegen stehen oder aus therapeutischen Gründen eine Einsichtnahme für den Betroffenen zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führen würde. Die früher übliche pauschale Ausklammerung der subjektiven Eindrücke oder Wahrnehmungen des Behandlers von dem Einsichtsrecht steht im Widerspruch zum Vertragsrecht und kann in dieser undifferenzierten Form auch aus Sicht der Ärzteschaft nicht aufrecht erhalten bleiben. In Rheinland-Pfalz ist die Berufsordnung der Ärzte dementsprechend an die materiellen Vorgaben angepasst worden.
Begehrt der Patient Einsicht, muss im konkreten Fall auch bei den subjektiven Bestandteilen der Dokumentation geprüft werden, ob ein Verweigerungsgrund im Sinne von § 630g Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegt. Nur in diesem Fall wäre eine Ablehnung der Einsicht, die begründet werden muss, zulässig. Grundsätzlich darf der Patient jedoch nicht vor der Kenntnis seiner gesundheitlichen Verfassung geschützt werden. Denkbar wäre eine Ablehnung nur, wenn die Einsichtnahme den Erfolg der aktuellen Behandlung oder die Gesundheit oder vergleichbare Rechtsgüter Dritter konkret gefährden würde.
Geltendmachung des Auskunftsanspruchs
Den Vorgaben des Datenschutzrechts kann nicht entnommen werden, dass die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DS-GVO eine ausdrückliche Bezugnahme des Patienten auf diese Bestimmung voraussetzt. Maßgeblich ist vielmehr die Auslegung des geäußerten konkreten Begehrens. Kommt darin zum Ausdruck, dass eine Bereitstellung der von der Heilberufspraxis verarbeiteten Daten verlangt wird, ist dies nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO und der in diesem Zusammenhang zu beachtenden rechtlichen Vorgaben in dem Umfang zu erfüllen, wie es der Patient verlangt. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, in den Praxen den Umgang von Auskunftsbegehren oder vergleichbaren Anliegen zu organisieren. Dabei kann es Sinn machen, die Beantwortung derartiger Anfragen nur einzelnen Mitarbeitern zuzuordnen, die über die hierzu erforderliche Rechtskenntnis verfügen.
Übertragung des Auskunftsanspruchs auf Dritte/Tod des Patienten
Der Patient kann das Einsichts- und Auskunftsrecht auf Dritte übertragen. Hierzu bedarf es einer schriftlichen Vollmacht. Dem Betreuer steht das gleiche Recht zu, wenn sein Aufgabengebiet die Gesundheitssorge für den Patienten umfasst. Nach dem Tod des Patienten steht den Erben zur Wahrnehmung vermögensrechtlicher Interessen bzw. den nächsten Angehörigen, soweit sie immaterielle Interessen geltend machen, das Einsichtsrecht zu, es sei denn, dies steht dem geäußerten oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entgegen (§ 630g Abs. 3 BGB).“