Eine Informationsgesellschaft, in der Menschen ihre Daten ohne Schranken und Tabus öffentlich machen, führt zum Verlust der Privatheit und letztlich zur Schutzlosigkeit gegenüber Zugriffen von Staat, Wirtschaft und Medien. Hier kommt den Gerichten eine wichtige Wächterrolle zu: Sie halten das Bewusstsein von der Bedeutung des Privaten für den Einzelnen wie für die Gesellschaft wach, mahnte Justizminister Heinz Georg Bamberger heute in Mainz.
Bei einer gemeinsamen Podiumsveranstaltung des Justizministeriums mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz Rheinland-Pfalz Edgar Wagner diskutierte der Minister mit Experten über aktuelle Gefahren und den Schutz der Privatheit.
Privatsphäre hat sehr viel mit der Realisierung von Freiheit und mit Selbstbestimmung zu tun, auch mit Menschenwürde. Das sind keine Kleinigkeiten. Es gehört zum Tafelsilber unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Dementsprechend pfleglich sollte man damit umgehen. So ist der Anspruch. Die Wirklichkeit sieht anders aus, betonte Wagner in seiner Begrüßungsrede und wies auf Gefährdungen der Privatsphäre durch Staat und Wirtschaft hin. Die Zahl der Telefonüberwachungen sei in der Zeit von 1995 bis 2004 um 500 % gestiegen und bei der Zahl der Gesetzesbeschlüsse im Sicherheitsbereich kann man, so Wagner, den Überblick verlieren. Als Beispiel für die Leichtfertigkeit der Privatwirtschaft im Umgang mit der Privatsphäre nannte Wagner die Videoüberwachungen von Arbeitnehmern zum Beispiel bei Lidl und Rewe. In diesem Zusammenhang plädierte Wagner für die Schaffung eines Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes.
Moderne Kommunikationstechniken und ein geändertes Kommunikationsverhalten der Menschen führten dazu, dass immer mehr Details über das persönliche Leben etwa ins Internet oder in den Medien zur Schau gestellt würden. Die Menschen verlieren die Selbstbestimmung, die ihnen gerade die geschützte Privatsphäre sichert. Wir brauchen Räume des Rückzugs, die der Kontrolle und Beherrschung durch andere entzogen sind. Das ist essentiell für das Menschsein, betonte der Minister.
Wagner wies auf die gesellschaftlichen Folgen bei einer kollektiven Preisgabe von persönlichen Daten hin: Sie bedroht soziale Beziehungen und Gemeinwerte. Denn diese sind auf Geheimnisse, auf Tabus, auf Scham und damit auch auf das Verbergen von Informationen angewiesen. Wenn alle indiskret werden, wenn jeder jeden ins Vertrauen zieht, dann sind wir auf dem Weg in die gläserne Gesellschaft. In einer solchen Gesellschaft aber wird vor allem der Respekt voneinander verloren gehen. Damit aber beginnt die Auflösung von Beziehungen.
Das Bundesverfassungsgericht habe, so Bamberger, in seiner Rechtsprechung - auch jüngst in der Entscheidung zur Onlinedurchsuchung - klar herausgearbeitet, dass angesichts modernster Entwicklungen in Gesellschaft, Politik und Technik die Anerkennung eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung zur Unantastbarkeit der Menschenwürde gehört. Aufgabe der Politik wäre es, für ein richtiges Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit zu sorgen, forderte Bamberger. Den vorwiegend auf Sicherheit programmierten Staat wolle man nicht.
Auf dem Podium diskutierten außerdem die Richterin am Bundesverfassungsgericht Dr. Christine Hohmann-Dennhardt, die Philosophiedozentin Prof. Dr. Beate Rössler von der Universität Amsterdam, der Medienwissenschaftler Dr. Bernd Flessner von der Universität Erlangen-Nürnberg und Andreas Bogk vom Chaos Computer Club. Die Moderation übernahm Bernhard Töpper von der ZDF Redaktion Recht und Justiz.
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