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Freiheit vs. Sicherheit: “Nicht jedes technische Mittel darf reflexartig für die Polizeiarbeit gefordert und genutzt werden“

Das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit stand im Zentrum des Film- und Diskussionsabends „Watching You“ am 17. Oktober im Kino CinéMayence in Mainz. Anlässlich des 40. Jahrestags der fiktiven Gegenwart von George Orwells Roman „1984“ sprach der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz, Prof. Dr. Dieter Kugelmann, mit dem Präsidenten des Landeskriminalamts Mario Germano sowie dem Autor Adrian Lobe über die Überwachungswirklichkeit in Deutschland.
V.l.n.r.: Dr. Daniela Franke, Mario Germano, Prof. Dr. Dieter Kugelmann, Adrian Lobe

Die Einordnung heutiger Überwachungstechniken und zugehöriger gesellschaftlicher Mentalitäten nahm der Politikwissenschaftler und Autor Adrian Lobe vor. In seinem Impulsvortrag schlug Lobe, von dem auch das 2019 erschienene Sachbuch „Speichern und Strafen“ stammt, einen Bogen von der architektonischen Idee des Panoptikums zur größten kommerziellen Überwachungsfirma der Welt, dem US-amerikanischen Unternehmen Palantir. Dabei machte er klar: „Es ist nicht Big Tech oder der böse Staat, der das Überwachungsnetz immer dichter webt, sondern der Bürger selbst. Wildkameras in Schrebergärten, Babyfon im Schlafzimmer, Dashcam im Auto, Bodycams in der Bahn, Hawk-Eye im Stadion – der panoptische Blick ist überall. Big Brother erhält in der digitalen Kontrollgesellschaft Unterstützung durch eine Armee von Little Brothers.“

Die anschließende, von der stellvertretenden Landesbeauftragten Dr. Daniela Franke moderierte Diskussion beleuchtete die Tendenz zur allumfassenden Überwachung aus freiheitsrechtlicher und sicherheitsbehördlicher Perspektive. Mario Germano, Präsident des rheinland-pfälzischen Landeskriminalamts, wies angesichts immer wachsender Datenmengen auf die Notwendigkeit hin, algorithmische Unterstützung zur Strukturierung und Analyse der Daten heranzuziehen. Er betonte dabei, dass sich die Analyse auf die bereits regulär bei den Polizeibehörden befindlichen rechtmäßig erhobenen Daten beziehe und es dem Landeskriminalamt nicht um die Anreicherung aus weiteren Quellen gehe. Die Behörde prüfe derzeit verschiedene Produkte auf dem Markt und sei nicht auf einen bestimmten Anbieter festgelegt. Die Sicherheit und Geschlossenheit der Datenbestände der Polizei habe bei allen Überlegungen oberste Priorität. „Der ‚Große Bruder‘ unserer Gegenwart sind nicht die staatlichen Institutionen, sondern die Datenkraken Meta, TikTok und Co., denen die Menschen ihre privaten Daten vorbehaltlos zuliefern. Die Bürgerinnen und Bürger können den staatlichen Stellen vertrauen“, hielt Mario Germano fest.

Der rheinland-pfälzische Landesdatenschutzbeauftragte Prof. Dr. Dieter Kugelmann betonte, dass der Ausgangspunkt in jeder Diskussion um Freiheit und Sicherheit zunächst die Freiheit sein müsse, Maßnahmen zur Stärkung der Sicherheit hingegen seien immer legitimierungsbedürftig. Die in Deutschland diskutierte Überwachungsgesamtrechnung sei ein sinnvolles Werkzeug, um den Umfang der von den Sicherheitsbehörden ausgeübten Maßnahmen abschätzen und damit demokratisch kontrollieren zu können. Der Landesdatenschutzbeauftragte mahnte: „Die Balance von Freiheit und Sicherheit in Deutschland funktioniert nur auf Basis einer gut gelebten Sicherheitskultur in der freiheitlichen Demokratie. Nicht jedes technische Mittel, das verfügbar wäre, darf reflexartig für die Polizeiarbeit gefordert und genutzt werden. Hier stehen auch die Polizeibehörden in der Verantwortung: Sie müssen zu einer ausgewogenen Sicherheitskultur beitragen. Dann dürfen sie auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger erwarten.“

Der Landesdatenschutzbeauftragte hob zudem hervor, dass das große Interesse der Bürgerinnen und Bürger an der Veranstaltung die Relevanz des Themas zeige. So waren alle Tickets für den Film- und Diskussionsabend innerhalb weniger Tage vergriffen. Prof. Kugelmann kündigte an, das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit weiterhin engagiert im Blick zu halten und zum öffentlichen Diskurs mit Publikationen und Veranstaltungen beizutragen.

Der Dokumentarfilm WATCHING YOU – DIE WELT VON PALANTIR UND ALEX KARP (Deutschland 2024 | R: Klaus Stern) vertiefte schließlich die kritische Auseinandersetzung mit globalen Überwachungsinteressen. Der Dokumentarfilm forscht anhand der US-Firma Palantir und deren Gründer Alex Karp dem Zusammenhang von Überwachung, Politik und Wirtschaft nach. Das öffentlich zurückhaltend auftretende Unternehmen entwickelt und vermarktet Datenanalyse-Software, die weltweit von Militärs und Polizeibehörden eingesetzt wird oder werden soll – auch in Deutschland. Sowohl inhaltlich als auch stilistisch betont der sehenswerte Film die Intransparenz von Palantir und problematisiert zugleich die kaum einschätzbare Macht dieser größten kommerziellen Überwachungsfirma der Welt.

Weitere Informationen:
Vortrag „Vom Panoptikum zu Palantir“ von Adrian Lobe im Volltext

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